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Zeichenphilosophie im 19. Jahrhundert
Herausgegeben von
Dieter Münch
Band 23, Heft 1
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Liste der Hefte [1]
Aus dem
Inhalt:
D. Münch: Einleitung
U. Neemann: Zeichen in Sprache und Denken nach
Bernard Bolzano (Zusammenfassung)
U. Dathe: Rudolf Eucken
als Sprachkritiker und Zeichenphilosoph (Zusammenfassung)
P. Spinicci: Phänomenologischer Objektivismus und Sprachpragmatik:
Grundkonzepte der Sprachauffassung Anton Martys (Zusammenfassung)
V. Raspa: Zeichen, "schattenhafte" Ausdrücke und
fiktionale Gegenstände: Meinongsche Überlegungen zu einer Semiotik
des Fiktiven (Zusammenfassung)
W. Mack: Zeichen und
Ausdruck in der Sprachtheorie Wilhelm Wundts (Zusammenfassung)
Nachruf: E. W. B. Lüttich, J. Mecke, M.
Titzmann:
In memoriam Brigitte Schlieben-Lange
(1943-2000)
Veranstaltungen,
Veranstaltungskalender, Förderpreis der DGS, Vorschau auf den
Thementeil der nächsten Hefte
Zeichen in Sprache und Denken nach Ockham, Lambert und Bolzano
Ursula
Neemann
Summary. According to B. Bolzano,
signs are real objects or processes which are grasped not as something
in themselves but in reference to other objects. The meanings of
verbal signs are shared by the users of a language as their uniform
semantical basis. It is a realm of ideas and sentences, in other
words, what is known as the intension of verbal signs. Extension, the
reference to extra-mental objects, is possible only on the basis of
intensions. These considerations are used to clarify Bolzano's use of
the expressions "meaning" and "reference". The
emphasis on the intensional aspect leads to epistemological problems
which are discussed with reference to the theories of signs suggested
by W. of Ockham, J. H. Lambert, and G. W. Leibniz. Central in this
discussion is the question whether what is signified by verbal signs
is a copy of the extra-mental world of objects or whether the sign's
function consists in a reference to the extra-mental world without
being similar to it.
Zusammenfassung.
Zeichen sind nach B. Bolzano wirkliche Gegenstände oder Prozesse, die
nicht als etwas Für-sich-selbst-Stehendes, sondern als Hinweise auf
ein Anderes verstanden werden. Das durch sprachliche Zeichen
Bezeichnete ist das, was den Benutzern einer Sprache als einheitliche
semantische Basis dient, was als Bereich von Vorstellungen und Sätzen
an sich vorgegeben ist, also das, was unter der Intension von Zeichen
verstanden wird. Extensionaler Bezug, also Referenz auf außermentale
Objekte, ist nur indirekt auf dem Umweg über die Intensionen
möglich. Im weiteren Verlauf der Darstellung wird Bolzanos Gebrauch
der Ausdrücke „Sinn" und „Bedeutung" erklärt. Ferner
werden die mit seiner Betonung des intensionalen Aspekts verbundenen
erkenntnistheoretischen Probleme angesprochen und im Vergleich mit den
Zeichentheorien von W. von Ockham, von J. H. Lambert und von G. W.
Leibniz verdeutlicht. Dabei geht es um die Frage, ob die durch
sprachliche Zeichen bezeichneten Inhalte Abbilder der außermentalen
Objektwelt sind oder ihre Funktion sich darin erschöpft, auf die Welt
des Außermentalen nur zu verweisen, ohne dieser selbst ähnlich zu
sein.
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Rudolf Eucken als Sprachkritiker und Zeichenphilosoph
Uwe Dathe
Summary. In the 19th century, non-formal language
analysis was practiced not only by the philosophers O. F. Gruppe, G.
Gerber, M. Müller, L. Noiré, and G. Runze, whose works were recently
discussed by H. J. Cloeren and S. J. Schmidt. This philosophical
tradition also included R. Eucken. In his studies on the history of
concepts and technical terms as well as on the function of metaphors
for philosophical thinking, Eucken developed original views on the
interdependence of language and thinking and on the meaning of
concepts and technical terms. He was one of the most astute critics of
philosophical language for his time and he advanced important ideas
for the reform of philosophical terminology. Eucken's philosophical
and semiotic reflections influenced G. Runze, G. Frege, F. Tönnies,
and K. Jaspers.
Zusammenfassung. Neben
Autoren wie O. F. Gruppe, G. Gerber, M. Müller, L. Noiré und G.
Runze, deren sprachphilosophische Arbeiten von H. J. Cloeren und S. J.
Schmidt gewürdigt wurden, gehört auch der Philosoph R. Eucken in die
Tradition der nicht-formalen Sprachanalytik des 19. Jahrhunderts. In
seinen Arbeiten zur Begriffs- und Terminologiegeschichte sowie zur
Funktion von Metaphern in der Philosophie entwickelte Eucken
originelle Ansichten zum Verhältnis von Sprache und Denken und zur
Bedeutung von Begriffen und Fachtermini. Er war einer der
scharfsinnigsten Kritiker der philosophischen Sprache seiner Zeit und
gab wichtige Hinweise zur Reform der philosophischen Terminologie.
Euckens sprachphilosophische und semiotische Überlegungen
beeinflussten G. Runze, G. Frege, F. Tönnies und K.
Jaspers.
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Phänomenologischer Objektivismus und Sprachpragmatik: Grundkonzepte der Sprachauffassung Anton Martys
Paolo Spinicci
Summary. According to Marty, linguistic form
depends both on the psychological nature of meaning and on the real
conditions for human communication. Marty believed that a universal
and general grammar has to fulfill two different tasks: firstly, it
has to bring to light the phenomenological basic structures of our
inner (and outer) experience which are expressed by every human
language. Secondly, it has to attempt to explain some of the universal
language structures resulting from the basic properties of speaking
as communicative action. This paper elaborates the latter topic in
particular, giving an account of Marty's pragmatic foundation of
language.
Zusammenfassung. Nach Marty
hängt die Sprachform nicht nur von der psychologischen Struktur der
Bedeutung ab sondern auch von den tatsächlichen Bedingungen der
Mitteilung. Marty vertritt deshalb die Auffassung, dass eine
allgemeine und universale Grammatik zwei verschiedene Aufgaben zu
lösen hat: Als phänomenologischer Objektivist muss der Semasiologe
die Grundstrukturen der inneren (und äußeren) Erfahrung beschreiben,
die in jeder menschlichen Sprache zum Ausdruck kommen. Als
Sprachtheoretiker muss er andererseits versuchen, einige universale
Sprachkonturen als Ergebnis der Grundformen des kommunikativen
Handelns zu deuten. Der vorliegende Beitrag ist besonders der
Herausarbeitung dieses letzten Themas, d.h. der pragmatischen
Fundierung der Sprache durch Marty, gewidmet.
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Zeichen, „schattenhafte" Ausdrücke und fiktionale Gegenstände: Meinongsche Überlegungen zu einer Semiotik des Fiktiven
Venanzio Raspa
Summary. The aim of this contribution is to apply
Meinong's theory of signs to an analysis of literature. The focus lies
on words and sentences which, according to Meinong, express fantasy
experiences when they occur in literature. He distinguishes between
"serious" and "shadow-like" fantasy experiences.
The serious ones can be detached from their fictional context, i.e.,
they are also understandable in other contexts. The shadow-like
fantasies, however, are dependent on their fictional contexts. This
implies that shadow-like experiences are less specific than serious
ones. The objects presented by these experiences or expressions are
identical with the meanings of the signs involved. The specificity of
the experience is related to the completeness of its object;
consequently, objects involved in shadow-like experiences are
incomplete. In addition to being incomplete, fictional objects can be
defined as non-existent objects of a higher-order, produced by human
fantasy. They come into the world through linguistic expression and
are tied to the context(s) in which the fantasy has placed them.
Zusammenfassung. Diese Arbeit versucht
Meinongs Zeichentheorie auf die Analyse von literarischen Texten
anzuwenden. Dazu werden besonders Worte und Sätze in Betracht
gezogen, die nach Meinong, sofern sie in literarischen Texten
vorkommen, Phantasie-Erlebnisse ausdrücken, welche er in
„ernstartige" und „schattenhafte" einteilt. Die
ernstartigen Phantasie-Erlebnisse lassen sich aus dem fiktionalen
Kontext lösen, sind also auch in anderen Kontexten verständlich; die
schattenhaften finden dagegen nur in ihrem Kontext eine Erklärung.
Das heißt auch, dass die schattenhaften Erlebnisse weniger bestimmt
sind als die ernstartigen. Die von diesen Erlebnissen bzw. Ausdrücken
präsentierten Gegenstände sind identisch mit den Bedeutungen der
betreffenden Zeichen. Die Bestimmtheit des Erlebnisses steht in
Relation zur Vollständigkeit seines Gegenstandes; folglich entspricht
einem schattenhaften Erlebnis ein unvollständiger Gegenstand. Außer
als unvollständige Gegenstände lassen sich die fiktionalen
Gegenstände schließlich als nicht-existierende, von der menschlichen
Phantasie produzierte Gegenstände höherer Ordnung definieren, die
zusammen mit dem sprachlichen Ausdruck zur Welt gebracht wurden und an
den Kontext, oder die Kontexte, gebunden sind, in die die
Phantasietätigkeit sie gestellt hat.
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Zeichen und Ausdruck in der Sprachtheorie Wilhelm Wundts
Wolfgang Mack
Summary.
W. Wundt is reputed as the founder of scientific psychology; his work
on the psychology of language as well as his considerations on the
emergence of language from non-verbal signs are less well-known. This
paper therefore outlines his approach to semiotic problems, especially
his view that language is rooted in motor behavior and gestures. This
view can only be adequately understood if one takes into account the
philosophical background as well as Wundt's conception of psychology.
Although Wundt postulates that psychology had a dual character,
distinguishing between physiological psychology (i.e., an experimental
psychology focusing on the individual) and folk-psychology (i.e., a
socially orientated psychology), he remains tied to a solipsistic
conception of the genesis of signs and meaning. This becomes even
clearer if Wundt's conception of the emergence of verbal signs from
gestures is compared with its critical development by G. H. Mead. It
becomes evident that Wundt does not pay enough attention to the
pragmatic dimension of gestural expression.
Zusammenfassung. W. Wundt gilt als Begründer der
wissenschaftlichen Psychologie; seine Arbeiten zur Sprachpsychologie,
aber auch seine Überlegungen zur genetischen Abhängigkeit der
Sprache von nonverbalen Zeichen sind weniger bekannt. Daher wird sein
Zugang zu semiotischen Problemen, insbesondere zu seiner Auffassung,
dass die Sprache im motorischen Verhalten und in Gesten wurzelt,
skizziert. Diese Auffassung lässt sich nur angemessen würdigen, wenn
man den philosophischen Hintergrund und seine Konzeption der
Psychologie mit in Betracht zieht. Es wird argumentiert, dass trotz
der programmatischen Zweiteilung der Psychologie in eine
individuenzentrierte experimentelle Psychologie („Physiologische
Psychologie") und eine sozialorientierte Psychologie
(„Völkerpsychologie") Wundt einer solipsistischen Auffassung
der Zeichen- und Bedeutungsgenese verhaftet bleibt. Dies wird auch
deutlich, wenn man Wundts Konzeption der Genese sprachlicher Zeichen
in der Geste mit der kritischen Weiterentwicklung dieser Konzeption
durch G. H. Mead vergleicht. Es wird ersichtlich, dass Wundt
insbesondere der pragmatischen Dimension des gestischen Ausdrucks zu
wenig Beachtung schenkt.
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