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Ikonismus in den natürlichen Sprachen
Jahr: 1980
Band: 2
Heft: 1/2
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Roland Posner
Ikonismus in den natürlichen Sprachen
Jürgen Pesot
Ikonismus in der Phonologie
Willi Mayerthaler
Ikonismus in der Morphologie
John R. Ross
Ikonismus in der Phraseologie. Der Ton macht die Bedeutung
Roland Posner
Ikonismus in der Syntax. Zur natürlichen Stellung der Attribute
Einlage
Jürgen Pesot
Phonetische Abbildungen
Projekte
Roland Posner
Handbuch der Semiotik
Martin Krampen, Hartmut Espe und Klaus Schreiber
Zur Mehrdimensionalität ikonischer Zeichen. Varianzanalytische Untersuchungen
Literaturberichte
Monica Rector
Semiotik in Lateinamerika
Günter Bentele
Filmsemiotik in der Bundesrepublik Deutschland. Entwicklung und gegenwärtige Positionen
Erhebung
Annemarie Lange-Seidl
Semiotik in den Universitäten der Bundesrepublik Deutschland
Ikonismus in der Phonologie
Jürgen Pesot, Université du Québec à Rimouski
Summary. The purpose of this article is to familiarize the reader with a new, semiotically based, way of accounting for an old series of phenomena which have now come to the attention of linguists as instances of linguistic iconism. In phonology, icons are forms which are said to be similar to the "thing meant" (object). This similarity, considered as an anomalous constraint from a linguistic point of view, is shown to go along with certain other anomalies, such as paradigmatic and syntagmatic simplicity mirroring semantic simplicity. As a case study of this issue, the author scrutinizes lexical reduplication, with data from Hindi. Notions like onomatopoetics, phonetic play, and sound symbolism are then discussed with respect to iconicity. Finally, the author outlines what he believes to be the lower threshold of iconism in phonology: the imaginal-indexical distortion of speech by non-linguistic vocalization and articulation.
Zusammenfassung. Der Aufsatz bietet einen neuen, semiotisch fundierten Ansatz zur Behandlung einer altbekannten Reihe von Daten, die heute als Beispiele für Ikonismus in den natürlichen Sprachen untersucht werden. Von einem phonologischen Ikon spricht man, wenn eine Lautform dem durch sie "bezeichneten Gegenstand" (Objekt) ähnlich ist. Ähnlichkeit dieser Art erscheint aus linguistischer Sicht als anomale Beschränkung und tritt meist zusammen mit anderen Anomalien auf, wie z.B. paradigmatischer und syntagmatischer Einfachheit, die semantische Einfachheit spiegelt. Als Beispiele werden die lexikalischen Reduplikationen im Hindi analysiert. Außerdem werden Begriffe wie "Onomato-Poetik", "Lautspiel" und "Lautsymbolik" in bezug auf ihre Beziehung zum Ikonismus diskutiert. Zum Schluß formuliert der Autor, was er für die untere Schwelle des phonologischen Ikonismus hält: die image-indexhafte Lautverzerrung in nichtsprachlicher Tonbildung und Artikulation.
Ikonismus in der Morphologie
Willi Mayerthaler, Universität Klagenfurt
Summary. This essay analyses linguistic signs with respect to the similarities existing between certain cognitive semantic categories and the way these categories are encoded in a natural language. The author argues that linguistic signs, while being lexically arbitrary, are, nevertheless, constructed iconically at the level of morphology. The encoded categories are deduced from the structure of the communication situation. By comparing morphological encodings in a variety of languages the author shows that non-iconic constructions are most often due to borrowing or to phonological change and tend to be unstable.
Zusammenfassung. Der Aufsatz behandelt Ähnlichkeiten zwischen sprachlicher Kodierung und zu kodierenden Objektkategorien. Er argumentiert, daß das sprachliche Zeichen unabhängig von seiner lexikalischen Arbitrarität im morphologischen Bereich meist ikonisch konstruiert wird. Die sprachlich kodierten Objektkategorien werden aus den Eigenschaften der Sprechsituation hergeleitet. Ein Vergleich morphologischer Kodierungen in einer Vielzahl von Sprachen ergibt, daß nichtikonische Konstruktionen meist durch Entlehnungen oder phonologischen Wandel bedingt sind und zur Instabilität neigen.
Ikonismus in der Phraseologie. Der Ton macht die Bedeutung
John R. Ross, Massachusetts Institute of Technology
Summary. This article addresses the central linguistic question: What is the relation between the structure of language and world view? In particular, what are the rules specifying which elements occur first in freezes, i.e., expressions with fixed order like hot and cold or gin and tonic? The basic principle underlying freezes is suggested by the metaphor: the more sound, the more meaning; semantic unmarkedness is equated with phonetic inaudibility. Thus freezes begin with the semantically less marked and/or phonetically less complex word. As data from 93 languages indicate, such a principle works especially well for pairs of short words and for basic semantic contrasts. The nature of this interesting constraint is captured by three principles of linguistic myopia.
Zusammenfassung. Der Aufsatz ist ein Beitrag zur Beantwortung der zentralen linguistischen Frage: Welche Beziehung besteht zwischen der Struktur einer Sprache und der Weltsicht ihrer Benutzer? Speziell: Nach welchen Regeln wird bestimmt, welches Wort in Erstarrungen, d.h. in Wendungen mit feststehender Wortfolge wie warm und kalt oder Gin-tonic, als Erstglied auftritt? Das Grundprinzip für Erstarrungen liegt in folgender Metapher: Je mehr Ton, desto mehr Bedeutung; semantische Unmarkiertheit korreliert mit phonetischer Unhörbarkeit. Erstarrungen beginnen also mit den semantisch weniger markierten und/oder phonetisch weniger aufwendigen Wörtern. Wie Daten aus 93 Sprachen zeigen, wird dieses Prinzip besonders gut durch Paare kurzer Wörter und durch elementare Bedeutungsunterschiede verwirklicht. Diese Einschränkung formuliert der Autor in drei Prinzipien sprachlicher Kurzsichtigkeit.
Ikonismus in der Syntax. Zur natürlichen Stellung der Attribute
Roland Posner, Technische Universität Berlin
Summary. Iconic sign relations are, on the one hand, encoded in the language system and, on the other, continually produced in language use. In this essay, a rule of iconic text interpretation is postulated that takes account of iconicity in language use. The question is then posed whether the existing restrictions on the order of attributes within complex noun phrases are due to iconic text interpretation. This is shown not to be the case. Such restrictions are part of the language system. They are motivated primarily by pragmatic principles, but are supported secondarily by the iconic relations ensuing between nouniness and proximity to the noun and between substantiality and proximity to the noun. Thus, iconicity in syntax reveals itself to be a phenomenon of secondary motivation.
Zusammenfassung. Ikonische Zeichenrelationen sind einerseits im Sprachsystem kodiert und werden andererseits im Sprachgebrauch häufig produziert. Zur Beschreibung des Sprachgebrauchs wird in der vorliegenden Untersuchung eine Regel ikonischer Textinterpretation formuliert. Dann wird gefragt, ob auch die Beschränkungen für die Reihenfolge der Attribute in Nominalphrasen of ikonische Textinterpretation zurückzuführen sind. Das ist nicht der Fall. Diese Beschränkungen sind Teil des Sprachsystems; sie sind primär pragmatisch motiviert, werden aber sekundär durch die ikonischen Beziehungen zwischen Substantivartigkeit und Substantivnähe und zwischen Substanzartigkeit und Substantivnähe gestützt. Ikonismus in der Syntax erweist sich damit als ein Phänomen sekundärer Motivierung.